"Probieren geht über studieren"
Björn Heyn
04.07 - 02.08.2025
Galerie Gegen&Lücke

Vernissage: 04.07.2025 | 18:00 - 21:00
Die Kunst der leichten Ernsthaftigkeit
„Also die Kunst bei den Gesichtern ist so, dass nicht ein Künstler gekommen ist und gesagt hat 'Ja, da nehm ich jetzt tausend Wochen für und male da so richtig ein riesengroßes Gesicht mit jedem Haar einzeln, sondern da hat man sich bunte Farben genommen und ein schönes, lustiges Gesicht gemalt. Und das mag ich lieber, als wenn man so ganz genau gemalt hat!”
Einschätzung meiner Nichte zu Björn Heyns Arbeiten
Ein klarer Blick. Und eine treffende Einordnung, die vielen längst abhandengekommen ist. Als ich das erste Mal in Björn Heyns Atelier stehe, denke ich sofort: Ich möchte meine Nichte nach ihrer Meinung zu den Werken fragen. Denn diesen kindlichen, offenen, aufmerksamen Blick auf die Welt hat sich Björn Heyn irgendwie auch bewahrt. Vielleicht konserviert. Vielleicht kehrt er auch immer wieder bewusst zu ihm zurück.
Es überrascht kaum: Die familiäre Nähe zu pädagogischen Berufen, seine eigene Tätigkeit als Kunst-Kursleiter für Kinder, das ständige Lernen in der Auseinandersetzung mit jungen Perspektiven. All das spiegelt sich in seiner künstlerischen Praxis. Die kindliche Sichtweise ist bei Heyn kein gestalterisches Motiv, sondern ein epistemologischer Ausgangspunkt.
Als Autodidakt entzieht er sich akademischen Routinen. Seine Malerei ist ungebunden, neugierig, oft spielerisch. Die Farben sind laut, der Duktus direkt, die Motive aufgeladen mit einer Unmittelbarkeit, die zunächst naiv erscheinen mag. Äpfel, Stühle, Gesichter, Stillleben; klassisch geladene Abbildungen tauchen auf, doch nicht in zitierender Absicht, sondern als Möglichkeitsformen. Was zählt, ist das Dazwischen, das Wechselspiel von Form und Farbe, das Reibungsfeld, das durch Überlagerung, Störung oder Verdichtung entsteht.
Im kunsthistorischen Kontext reiht sich Heyns Haltung in eine lange Linie von Positionen ein, die das Unmittelbare, das scheinbar Kindliche oder Ungelehrte als kritische Strategie verstehen. Bereits Henri Rousseau wurde in der frühen Moderne als Grenzfigur rezipiert, als jemand, der jenseits akademischer Konventionen eine neue visuelle Sprache etablierte. In diesem Zusammenhang lohnt der Blick auch auf die Künstlerin Rose Wylie, deren bewusst ungelenke Bildsprache als radikales Statement gegen konventionelle Malereidiskurse gelesen werden kann. Die oft kalkulierte Naivität in den Werken kann auch immer gelesen werden als ein Entgegensetzen gegen patriarchale Symbolsysteme. Es zeigt sich eine Haltung, die nicht anti-intellektuell, aber anti-hierarchisch ist und darin strukturell verwandt mit Heyns Zugang.
Im Werk Heyns ist dieser Impuls weder theoretisiert noch didaktisch ausformuliert. Er ist spürbar, in der Geste, im Zugriff, in der Haltung gegenüber dem Material. Technische Perfektion interessiert ihn nicht. Er wählt den Umweg, die Brechung, das Ungerade. Der Witz, der in vielen Arbeiten steckt, ist nie bloß Illustration, sondern ein Mittel zur Distanz. Die Leichtigkeit bleibt irritierend, weil sie immer auch das Unheimliche berührt. Die fröhlichen Gesichter, von denen meine Nichte spricht, überlassen Betrachtenden einen freien Interpretationsrahmen. Man denkt an Puppen, an Masken, an etwas, das einem Blick zwar ausgesetzt ist, ihn aber nicht erwidert.
Diese Ambivalenz ist ein zentrales Moment der Arbeiten. Sie verweigern eindeutige Lesbarkeit und spielen mit einer Poesie des Unabgeschlossenen. Dazu tragen auch die Texte bei, die sich in vielen Bildern finden. Es sind Bruchstücke, Redewendungen, manchmal bloße Satzreste. Zwischen Wort und Bild entsteht ein offener Dialog, der an Kippenberger erinnert, an seine lakonischen Pointen, seine bewusste Antipsychologie.
Auch Materialität spielt eine entscheidende Rolle in Heyns Werk. Die Leinwände bleiben roh, die Ränder mal sichtbar, mal nicht. Farbflächen und Materialität überlagern sich ohne Scheu. Oft entstehen Bildräume aus Assemblage, Collage, aus Wiederholung, aus spielerischer Störung. Die Titel öffnen zusätzliche Deutungsebenen, wirken mal poetisch, mal flapsig, mal widerspenstig. Doch nie wollen sie belehren oder ordnen. Vielmehr ermöglichen sie andere Zugänge, lassen Lücken, bleiben auf Distanz.
Heyns Werk operiert mit einer Offenheit, die heute selten geworden ist. Es stellt keine Forderungen, verlangt kein Vorwissen. Die Arbeiten bieten sich an, ohne sich aufzudrängen. Man muss kein kunsthistorisches Instrumentarium zur Hand haben, um sich von ihnen ansprechen zu lassen. Die Bilder sind keine Chiffren, die entschlüsselt werden wollen. Sie funktionieren im Modus des Staunens. Ein Zustand, den die Kunst immer wieder zu erreichen sucht und allzu selten findet.
Björn Heyn lebt und arbeitet in Berlin. Seine Malerei erzählt von Figuren, vom Alltag, vom Humor des Misslingens. Von der Kraft des Fragens und der Freiheit, keine endgültigen Antworten geben zu müssen. Sie ist zugänglich, ohne gefällig zu sein, verspielt, ohne banal zu wirken. Und sie ist ernst, gerade weil sie sich traut, leicht zu sein.
Text: Pola van den Hövel